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Ankündigung einer Chansonette
Text: Erich Kästner
Berliner Frühlingslied
Text: Hermann Valentin
Musik: Mischa Spolianski
Mit’n Zopp
Text: Klabund
Musik: Werner Richard Heymann
Der arme Mann
Text: Marcellus Schiffer
Musik: Allan Gray
Der Potsdamer Edelfasan oder Die letzte Haarnadel
Text und Musik: Friedrich Hollaender
Friedrich Holloenders Text zu der Ouvertüre zu
„Dichter und Bauer“ von Suppe
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Das ist bei mir so ...
Text: Theobald Tiger und Martin Löwe
Musik: Friedrich Hollaender
All people on board
Text: Kurt Tucholsky
Musik: Franz Wachsmann
Drei Träume
Text: Kurt Tucholsky
Musik: Egon Larsen
Die Kleptomanin
Text und Musik: Friedrich Hollaender
Das Zersägen einer lebenden Dame
Text und Musik: Friedrich Hollaender
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Covertext:
Diese Schallplatte, meine Damen und Herren, ist ein kleiner Leckerbissen für
die Freunde des Kabaretts. Und damit haben wir auch gleichzeitig die
Erklärung dieses Begriffs. „Cabaret“ heißt in Frankreich eine drehbare
Platte mit Glaseinsätzen zum Anrichten kalter Speisen und Salate. Sie bietet
– bunt gefüllt mit Delikatessen – die verschiedensten lukullischen
Anregungen in konzentrierter Form. Und ehe man auf den Geschmack dieser
raffinierten Kurzkosterei gekommen ist, wird die Platte abserviert und
hinterläßt außer einer Symphonie von Gerüchen Appetit auf mehr. Und genau
das – so definierte es einmal vor Jahren einer der größten Kabarettisten,
Friedrich Hollaender – ist auch das Geheimnis des Kabaretts. Die aus den
Künstlerkneipen des Pariser Quartier Latin und des Montmartreviertels
hervorgegangenen Kleinkunstbühnen wurden zuerst so genannt. Inzwischen ist
das „Kabarett“ längst ein Bgriff für die kleine und doch so schwere
Kunstform der witzig-satirischen Rezitationen und Chansons. Übrigens, das
Wort „Chanson“ ins Deutsche zu übersetzen ist etwas, was nicht möglich ist.
Das Konversations-Lexikon meint dazu, daß ein Chanson im 15. und 16.
Jahrhundert ein kontrapunktisch-witziger und politisch-satirischer
Cantusfirmus-Gesang von kühnem Realismus gewesen sei. Kurt Tucholsky dagegen
sagte. „Die deutsche Sprache hat keinen Namen für „Chanson“. Wie der
Franzose unter „le lied“ etwas versteht, was er nicht besitzt, so haben wir
keine Chansons. Wir müssen uns erst welche machen.“ Wozu zu sagen ist, daß
Tucholsky selbst großartige Chansons machte, wovon Sie sich beim Hören der
Schallplatte überzeugen werden.
Das Berliner Kabarett hatte seine Blütezeit in den zwanziger Jahren. Eine
beneidenswerte Fülle von ausgezeichneten Autoren, Komponisten und nicht
zuletzt Interpreten fand in dieser bewegten Zeit reichen Stoff, der im
kabarettistischen Zerrspiegel dem Publikum vor Augen gehalten wurde. Viele
Namen wurden in diesen Jahren zu einem Begriff für gutes Kabarett: Rudolf
Nelson mit seiner Gattin Käthe Erlholtz, Rosa Valetti, die große
Schauspielerin, die eine Zeitlang ein eigenes Kabarett leitete, ihr Bruder,
der Schauspieler Hermann Valentin, der viel für das Kabarett geschrieben hat,
Trude Hesterberg, Wilhelm Bendow, Kurt Robitschek und vor allem Friedrich
Hollaender, der das Nummern-Kabarett erweiterte zur politisch-satirischen
Kabarett-Revue. Dazu kamen neben Nelson und Hollaender die Komponisten
Mischa Spolianski, Werner R. Heymann, dessen Filmschlager „Das gibt’s nur
einmal“, „Das ist die Liebe der Matrosen“ und viele andere später um die
ganze Welt gingen. Der Schriftsteller Marcellus Schiffer gab dem Kabarett
großartige Texte, die von seiner Frau, der eigenartigen und faszinierenden
Diseuse Margo Lion, hinreißend interpretiert wurden. Schauspieler wie
Blandine Ebinger. Marlene Dietrich, Hilde Hildebrand, Gussy Holl, Willi
Schaeffers, Kurt Gerron, Paul Morgan, Paul Graetz, Werner Finck und Rudolf
Platte gehörten zu den besten Kabarettisten. Die Reihe der Namen ließe sich
noch beliebig fortsetzen, aber wir wollen bei dem Namen einer Künstlerin
verhalten, die sich schon früh dem Kabarett verschrieb und eine der Besten
dieses Genres wurde: Annemarie Hase. Sie hat die große Zeit des Berliner
Kabaretts der zwanziger Jahre miterlebt und stand dabei in vorderster Reihe.
Annemarie Hases Weg zur Bühne begann eigentlich gleich mit einer
Kabarett-Szene. Sie wollte nämlich durchaus „Sentimentale“ werden, wie es in
der Bühnensprache heißt, und sprach bei ihrer Aufnahmeprüfung für die
Schauspielschule des Deutschen Theaters in Berlin die Luise aus „Kabale und
Liebe“ vor. Und die Stichworte der Lady Milford gab – vom Prüfungstisch her
– Eduard von Winterstein! Immerhin war man danach von ihrem komischen Talent
überzeugt. Sie ging dann nach erfolgter Ausbildung in ihr erstes Engagement
nach Osnabrück, wurde aber bald, nach einer Zwischenstation in Halberstadt,
für das Berliner Kabarett „Schall und Rauch“ entdeckt und stand so im Jahre
1921 zum ersten Mal auf einer Kabarett-Bühne in einem Programm mit Paul
Graetz, Gussy Holl und Ringelnatz. Ihr großer Durchbruch glückte bei der
Eröffnungsvorstellung von Trude Hesterbergs Kabarett „Wilde Bühne“ im
September 1921. Danach spielte sie wieder Theater, und zwar bei Falckenberg
an den Münchner Kammerspielen in der Uraufführung des ersten Stücks von
Bertolt Brecht „Trommeln in der Nacht“. Nach Berlin zurückgekehrt wurde sie
eine der ständigen Hauptdarstellerinnen in allen Kabarett-Revuen von
Friedrich Hollaender. Daneben war sie tätig beim Film, beim Funk und auch an
anderen Berliner Theatern. Um von der künstlerischen Abstempelung in Berlin
loszukommen, nahm sie 1932 ein Engagement an das „Kleine Schauspielhaus“ in
Hamburg an, mußte es aber 1933! abbrechen und erhielt, nach Berlin
zurückgekommen, Auftrittsverbott! Bis 1936 spielte sie noch beim Jüdischen
Kulturbund in Berlin und ging dann nach England in die Emigration, wo sie
sich als Köchin, Handschuhnäherin, Strickerin, Schokoladenpackerin usw.
ihren Lebensunterhalt verdiente. Hauptsächlich aber arbeitete sie intensiv
beim Freien Deutschen Kulturbund in London als Schauspielerin, Kabarettistin
und Regisseurin. Von 1940 bis 1944 sprach sie die „Frau Wernicke“ in der
Propagandasendung der BBC. Nach ihrer im Jahre 1947 erfolgten Rückkehr nach
Deutschland wurde sie an das Berliner Hebbel-Theater engagiert, das damals
unter der Leitung von Karlheinz Martin stand, und von da an das zu der Zeit
von Fritz Wisten geleitete Theater am Schiffbauerdamm. 1949 holte sie Brecht
an sein eben gegründetes „Berliner Ensemble“, an dem sie bis 1956 spielte.
Nach einem zweijährigen Engagement am Staatstheater Dresden ist sie nun seit
1958 in Berlin freiberuflich tätig und arbeitet im Film, Funk und Fernsehen.
Nicht zu vergessen ihre Schallplatten-Aufnahmen, wozu dieser Querschnitt
durch das Berliner Kabarett der zwanziger Jahre gehört, der Ihnen einen
kleinen Einblick in die große Kunst von Annemarie Hase geben wird, mit
sparsamsten Mitteln eine Situation oder das Bild eines Menschen im höchsten
Grade einprägsam und plastisch dem Zuhörer nahezubringen, eine Kunst, die
das Wesen des großen Kabarettisten ausmacht und die Annemarie Hase vollendet
beherrscht.
Und jetzt lassen Sie die „Cabaret-Platte“ mit den Leckerbissen kreisen!
Guten Appetit und viel Vergnügen wünscht Ihnen dazu Ihr
Willi Schwabe. |