Thomas Schinköth
Musik als Lebenshilfe: Barnet Licht
(1874-1951)
Verlag Klaus-Jürgen Kamprad (2000)
ISBN: 3-93055-014-8

Zwischen Synagoge und Volkschor: Barnet Licht und die Musikstadt Leipzig im 20. Jahrhundert
ISBN: 3-92877-083-7

 

 

Dirigent, Chorleiter, Musikschriftsteller

Born in Vilnius, 15. Mai 1874 Licht came to Leipzig to study music. After working hard in Jadassohn’s choral society, he founded the Licht Choirs in 1907, followed by a workers’ chamber orchestra (Arbeiterbildungsinstitut). In 1918 he initiated the New Year’s Eve concerts at the Gewandhaus which are still extremely popular to this day. In 1933, Licht was closely involved in the organisation of the Kulturbund, the Jewish cultural association. In January 1945 he was deported to Theresienstadt Concentration Camp, but fortunately survived and returned to Leipzig one month later. In 1946 he conducted a legendary choir concert on Augustusplatz. In 1950 something he had been campaigning for since 1928 finally came about when the remains of J.S. Bach were laid to rest to St Thomas’s Church.
Died 3. Mai 1951 in Leipzig, DDR

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Barnet Licht wurde am 15. Mai 1874 in Wilna geboren und wuchs in New York auf. Nach dem Wunsch seiner Eltern sollte er Rabbiner werden, doch er hatte eigene Vorstellungen. Daraus resultierende familiäre Spannungen veranlassten ihn, sein Leben frühzeitig selbständig zu organisieren. Mit 15 Jahren nahm er Jobs an, die sich gerade boten, u. a. wurde er Hilfsarbeiter in einem Textilbetrieb. Dabei lernte er die sozialen Probleme der Bevölkerung kennen. Zugleich spürte er, welches kulturelle Potential gerade in den ärmsten Schichten verborgen lag, und gründete 1891 in Brooklyn einen Chor.

Der Chorgesang sollte für Licht zum Lebensinhalt werden. So bildete er 1893 aus Jugendlichen seines Umfeldes die Halévy Singing Society. Auβerdem wurde er Mitglied der American Student Minstrels. Für sämtliche Ensembles komponierte er auch. Daneben half er wiederholt als Organist und Chorsänger an New Yorker Synagogen aus. Bei einem privaten Lehrer hatte er Klavier- und Orgelstunden genommen. Am 1. Apr. 1894 wurde ihm sogar für unbefristete Zeit das Amt des Organisten und Chorleiters der Congregation Ansche Chesed übertragen. Nach reichlich vier Jahren bat Licht jedoch um Entbindung von dieser Position, um ein Musikstudium in Deutschland aufnehmen zu können.

Am 8. Okt. 1898 immatrikulierte er sich am Königlichen Conservatorium der Musik zu Leipzig. Er studierte Musiktheorie/Komposition, Klavier, Viola, Orgel und Gesang und hörte auβerdem “ bei Hermann Kretzschmar und Hugo Riemann “ musikwissenschaftliche Vorlesungen. Ostern 1902 absolvierte er sein Examen. Bereits ein Jahr zuvor hatte ihn der Männerchor Rütli aus Plagwitz, einem Industrieviertel Leipzigs, angestellt. Zwischen 1904 und 1906 übernahm er weitere Arbeiterchöre aus Leipzig und Umgebung, die sich 1907 bei gröβeren Auftritten zum Chorverband der Lichtschen Chöre zusammenschlossen. Weithin beachtet wurden vor allem die Aufführungen von Werken Georg Friedrich Händels nach dem Ersten Weltkrieg ("Acis und Galatea", "Herakles", "Saul"). 1926 fand auf Anregung von Licht ein Arbeiter-Händelfest in Leipzig statt. Ein Jahr später war er mit seinen Chören an einer Beethovenfeier beteiligt.

Licht suchte den sozial Benachteiligten in der Gesellschaft noch in anderer Weise musikalische Erlebnisse zu vermitteln: Er bot Chormitgliedern kostenlosen Instrumentalunterricht und gründete 1923 ein Arbeiterorchester. Zudem knüpfte er von 1911 bis 1928 als Leiter der Musikabteilung des Arbeiter-Bildungs-Instituts Kontakte zu bekannten Künstlern, Ensembles und Institutionen und organisierte Konzert- und Probenbesuche für Arbeiter. Diese Angebote wurden auch von Studenten gerne genutzt: wegen der günstigen Preise und der oft unkonventionellen Programme. Licht erachtete Kunst als grundlegendes Lebensrecht aller gesellschaftlichen Schichten. Dabei war er auch von der therapeutischen Rolle der Musik überzeugt. So engagierte er sich ab Mitte der 1920er Jahre im Künstlerischen Beirat der Vereinigten Gefangenenanstalten für die musische Erziehung Straffälliger. 1927 richtete er für sie musikalische Morgen- und Ruhetagsfeiern ein. Auβerdem betreute er Leipziger Gefangenenchöre.

Seit seiner Ãœbersiedelung nach Leipzig besaβ Licht enge Kontakte zur Israelitischen Religionsgemeinde. Im Herbst 1924 übernahm er als Nachfolger von Wilhelm Rettich die Leitung des Chores am Tempel, der liberalen Gemeindesynagoge in der Gottschedstraβe, und wurde zum Ansprechpartner für viele kulturelle Belange der Gemeinde. Setzen allein die bisher erwähnten vielfältigen Aktivitäten Lichts in Erstaunen, so bleiben noch unzählige Veröffentlichungen zu erwähnen: Konzert-Einführungen, Rezensionen, Artikel und Aufsätze in Zeitungen und Zeitschriften, u. a. im "Gemeindeblatt der Israelitischen Religionsgemeinde zu Leipzig"

Im Mai 1933 wurde der Lichtsche Chorverband wie auch andere Leipziger Arbeiterchöre verboten. Es schlossen sich langwierige Auseinandersetzungen mit nationalsozialistischen Behörden an. Eine Legalisierung wie bei anderen Chören schien nur möglich, wenn sie sich von Licht trennten. Zwar versuchten Wilhelm Furtwängler und Karl Straube zu vermitteln, und Licht erhielt noch im September 1934 eine Bestätigung seiner Mitgliedschaft in der Reichsmusikkammer, jedoch war das endgültige Verbot öffentlicher Berufstätigkeit nur eine Frage der Zeit: Es trat am 22. Aug. 1935 im Zuge der Massenausschlüsse von Musikern jüdischer Herkunft aus der Reichsmusikkammer in Kraft.

In einer Zeit wachsender Ausgrenzung und Bedrängnis wurden jüdische Organisationen für Licht wie für viele seiner Zeitgefährten zu einem Auffangbecken “ in menschlicher wie beruflicher Hinsicht. Er wurde Mitglied im Jüdischen Ausschuss für Kunstpflege (ab Oktober 1933) und im Jüdischen Kulturbund (ab Februar 1935). Neben dem Gesangsverein Psalterion (1933) gründete er einen Kinderchor und ein Kinderorchester (1934), und er gab privaten Unterricht. Darüber hinaus übernahm er Anfang 1935 von Alfred Simon das Jüdische Orchester und setzte die Arbeit unter dem Namen Collegium musicum jüdischer Musikliebhaber fort. Dieses führte 1937 auch seine Komposition "Thema, Variationen u. Fuge im alten Stil über das Chanukkalied "Moaus Zur™" zum ersten Mal auf. Ungewiss bleibt, ob dieses Werk durch die Jahrestagung des Reichsverbandes der jüdischen Kulturbünde (1936) und ein nachfolgendes Preisausschreiben angeregt worden ist. Schon 1934 hatte Licht in einem Artikel "Musikkultur im Leipziger Judentum?" an "junge jüdische Komponisten" appelliert, "Texte aus dem jüdischen Leben [zu] wählen" (Gemeindeblatt der Israelitischen Religionsgemeinde zu Leipzig, 14. Dez. 1934, S. 2). Das letzte Konzert des Collegium musicum ist für den 5. Mai 1938 bezeugt.

Von 1939 und 1941 stammen Hinweise auf einen von Licht betreuten Chor, der wohl vor allem in den Gottesdiensten sang, die nach der Pogromnacht in der erhalten gebliebenen Talmud-Thora-Synagoge in der Keilstraβe stattfanden. Als Rabbiner amtierten Samuel Lampel und Max Jaffé, die von 1914 bis zur Zerstörung 1938 am Tempel gewirkt hatten. Ab dem 31. Dez. 1939 musste Licht mit seiner Frau Gertrud Licht, geb. Lötzsch, die er 1920 geheiratet hatte und die am 16. Nov. 1933 zur jüdischen Religion konvertiert war, in verschiedenen "Judenhäusern" leben. Offenbar versuchten sie, mit Hilfe der Quäker nach England auszureisen (IRL LichtB, Fragebogen). Am 14. Febr. 1945 wurden sie jedoch in das Ghetto Theresienstadt deportiert, wo sie auch ihre Silberhochzeit verbringen mussten. Sie erlebten die Befreiung des Lagers und konnten am 21. Juli 1945 wieder nach Leipzig zurückkehren.

Schon bald nach ihrer Rückkehr suchte Barnet Licht, an frühere Tätigkeiten wieder anzuknüpfen. Er nahm Kontakt zu ehemaligen Chormitgliedern auf und begann noch im Sommer mit den Proben. Im September 1945, zu Rosch ha Schana, trat der Synagogenchor erstmals wieder auf, und im Februar 1946 gab der Lichtsche Chorverband sein erstes Konzert nach dem Zweiten Weltkrieg. Im selben Jahr kandidierte er für die SED als Stadtverordneter. Darüber hinaus wurde ein Platz nach ihm benannt ("Barnet-Licht-Platz"), und er erhielt den Professorentitel. 1949 ging noch einer seiner gröβten Wünsche in Erfüllung, für den er sich schon in den 1920er Jahren eingesetzt hatte: Die Gebeine Johann Sebastian Bachs wurden von der Gruft der Johanniskirche in die Thomaskirche überführt. Wachsende gesundheitliche Probleme zwangen Licht, im Januar 1950 die Leitung seiner Chöre aufzugeben. Er starb am 3. Mai 1951 in Leipzig.

Hauptquellen: AdK LichtB, BAB LichtB, IRL LichtB, StAL LichtB, StML LichtB, SchinköthT 2000, SpechtF 2000

Thomas Schinköth (2007, aktualisiert am 25. Aug. 2009)