Abendphantasie

Text by Friedrich Hölderlin (1770-1843)
Set by Viktor Ullmann (1898-1944?), 1943.

 Vor seiner Hütte ruhig im Schatten sitzt
 Der Pflüger, dem Genügsamen raucht sein Herd.
 Gastfreundlich tönt dem Wanderer im
 Friedlichen Dorfe die Abendglocke.

 Wohl kehren jetzt die Schiffer zum Hafen auch,
 In fernen Städten fröhlich verrauscht des Markts
 Geschäftiger Lärm; in stiller Laube
 Glänzt das gesellige Mahl den Freunden.

 Wohin denn ich? Es leben die Sterblichen
 Von Lohn und Arbeit; wechselnd in Müh und Ruh
 Ist alles freudig; warum schläft denn
 Nimmer nur mir in der Brust der Stachel?

 Am Abendhimmel blühet ein Frühling auf;
 Unzählig blühen die Rosen, und ruhig scheint
 Die goldene Welt; o dorthin nehmt mich,
 Purpurne Wolken! und möge droben

 In Licht und Luft zerrinnen mir Lieb und Leid!
 Doch, wie verscheucht von törichter Bitte, flieht
 Der Zauber; dunkel wird's und einsam
 Unter dem Himmel, wie immer, bin ich -

 Komm du nun, sanfter Schlummer! zu viel begehrt
 Das Herz; doch endlich Jugend! verglühst du ja,
 Du ruhelose, träumerische!
 Friedlich und heiter ist dann das Alter.